Kuku Paula war in der zweiten und dritten Siedlung eine wichtige Person, weil sie die Einzige war, die lesen und schreiben konnte. Sie stammte aus Rumpersdorf, einer kleinen Gemeinde in der Nähe von Rechnitz. - In Rumpersdorf lebten vor dem Krieg drei Roma-Familien, die im Dorf gut integriert waren. Kuku Paulas Vater war Dorfschmied und sehr beliebt. Seine Tochter konnte bis zur dritten Klasse die Schule besuchen. - Als die Deportationen begannen, wurden die Rumpersdorfer Roma zwar gewarnt, sie flüchteten aber nicht aus ihrer Heimatgemeinde, weil sie nicht verstanden, wie sehr sie bedroht waren. - Paula war die einzige überlebende aus ihrer Familie. Gleich nach ihrer Rückkehr, als sie merkte, dass das Haus weg ist und niemand sonst überlebt hatte, fuhr sie als Erntearbeiterin nach Niederösterreich, wo sie Kuku kennenlernte. Sie heirateten 1966. - Es war damals üblich, dass nach der Hochzeit der Mann für das Einkommen der Familie zuständig war. Kuku arbeitete damals gemeinsam mit anderen beim Kraftwerksbau in Tirol. Die Männer kamen nur alle drei Monate nach Hause, und das mitgebrachte Geld reichte nie. Die Oberwarter Roma-Frauen entwickelten deshalb eine Überlebensstrategie, die heute unvorstellbar erscheint: Sie ließen ihre Kinder bei Kuku Paula und gingen zu Fuß in die Oststeiermark, wo sie für jeweils ein bis zwei Wochen den Bauern bei der Arbeit halfen. Ihren Lohn erhielten sie in Form von Naturalien. Nach ihrer Heimkehr wurde das so Erworbene mit Kuku Paula geteilt. Daneben gab es auch Betteltouren. Die Frauen waren ungemein stark und mutig und sicherten so das Überleben ihrer Kinder. Wenn Kuku Paula auf sie aufpasste, waren meist mehr als zehn Kinder in ihrer Obhut. Sie behandelte alle Kinder, als wären sie ihre eigenen. - Kuku Paula war eine kleine, rundliche Frau. Ihre Augen strahlten Liebe und Güte aus. Aber nach Kukus Tod wurde sie immer stiller. Man sah ihr den Schmerz und die Wehmut über den Verlust ihres Mannes an. Sie hatte gesundheitliche Probleme mit dem Herzen. Nach einem Herzinfarkt war ihr ein Herzschrittmacher eingesetzt worden. Im Laufe der Jahre verschlimmerten sich ihre Leiden. Sie verbrachte ihre Tage immer öfter im Spital. Damals, es war 1997, besuchte sie Stefan Horvath - er arbeitete im Krankenhaus – oft und fand dadurch einen sehr persönlichen Zugang zu ihr und ihrer Vergangenheit gefunden. Kuku Paula erzählte ihm damals von den Grausamkeiten, die sie als junge Frau erleiden musste, es wurde aber auch deutlich, dass sie die Größe hatte, keinen Hass in sich zu tragen. - Das Attentat 1995 traf sie hart und weckte viele schlimme Erinnerungen. Kuku Paula gehörte zu den wenigen Roma-Frauen, die über siebzig Jahre alt wurden. Sie starb 1999 und ist mit Kuku im Familiengrab beigesetzt. – Aus: „Atsinganos – Die Oberwarter Roma und ihre Siedlungen“ von Stefan Horvath;
Hochgeladen von: Tillfried SCHOBER
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